Sportdeutschland-News
„Kienbaum ist ein sehr wichtiger Baustein des Stützpunkt-Netzwerks“
DOSB: Olaf, dem „Kienbaum Olympisches und Paralympisches Trainingszentrum“ wird im deutschen Sport eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Warum?
Olaf Tabor: Es ist das einzige Trainingszentrum dieser Art, das wir in Deutschland haben. Seine Bedeutung ist aus der Historie herzuleiten. Kienbaum war ein wichtiges Trainingszentrum der damaligen DDR, dessen großer Vorteil war, an einem ablenkungsfreien Ort ein hoch spezialisiertes Training für eine große Bandbreite an Sommer- und Wintersportarten anbieten zu können. Das hat man nach der Wende sinnvollerweise erhalten und ausgebaut.
Weil es oft durcheinandergerät: Erläutere bitte einmal den Unterschied zwischen einem Trainingszentrum wie Kienbaum und einem Olympiastützpunkt.
Das KOPT ist eine Agglomeration, also ein Zentrum zahlreicher Spezialtrainingsstätten mit großen Unterkunfts- und Versorgungskapazitäten, die ausschließlich dem Spitzensport gewidmet ist. Dort finden vorwiegend Lehrgänge der Nationalmannschaften aus unterschiedlichen Sportarten statt, häufig in Vorbereitung auf internationale Zielwettkämpfe. Das KOPT verfügt allerdings nicht selbst über Fachpersonal für trainingswissenschaftliche, medizinische, physiotherapeutische oder psychologische Versorgung, wie es zum Beispiel an OSP vorgehalten wird. Um es vereinfacht zu sagen: Olympiastützpunkte und Bundesstützpunkte sind Orte für das tägliche Training, das KOPT ist ein Ort für gezielte Lehrgangsmaßnahmen. Alle Elemente des Stützpunktsystems - Olympiastützpunkte, Bundes- und Landesstützpunkte sowie das Trainingszentrum in Kienbaum - haben spezifische Funktionen und Aufgaben mit ihren jeweiligen Mehrwerten für die Leistungsentwicklung der Athletinnen und Athleten.
Was macht den Standort Kienbaum einzigartig?
Es gibt wohl kaum einen zweiten Standort in Deutschland, der quer durch eine breite Sportartpalette über solch ausgezeichnete Trainingsmöglichkeiten verfügt. Ein großer Vorteil ist neben den Trainingsstätten insbesondere die Abgeschiedenheit, zumindest aus trainingstechnischer Sicht. In Kienbaum gibt es keine Ablenkung. Berlin ist weit genug weg und die ÖPNV-Anbindung zu dünn, um spontan dorthin zu fahren. In Kienbaum liegt der Fokus komplett auf dem Training. Insbesondere für Sportarten, die hochgradig trainingsintensiv sind, ist das Zentrum perfekt geeignet und deshalb als Lehrgangsstandort und gerade in der Vorbereitung auf Schlüsselevents wie Olympische Spiele unverzichtbar. Dazu kommt, dass Kienbaum auch ein Dienstort der Bundespolizei ist. Das heißt, dass Kaderathletinnen und -athleten, die bei der Bundespolizei angestellt sind, eine zusätzliche Möglichkeit haben, die dortigen Trainingsmöglichkeiten zu nutzen.
Was Kienbaum für den deutschen Sport so unverzichtbar macht
„Du hast jeden Tag die Möglichkeit, besser zu werden!“, so steht es auf dem Poster geschrieben, das die Wand eines der Doppelzimmer ziert, in denen die besten Athlet*innen Deutschlands Erholung und Ruhe vom harten Training finden sollen. Und während man noch überlegt, ob das als freundlicher Hinweis gemeint ist oder doch eher als deutliche Aufforderung, hat Lisa Vogel die Antwort schon parat. „Wir tun hier alles dafür, dass das Team D auf allen Wettkämpfen die bestmögliche Leistung bringen kann“, sagt sie. Damit ist klar: Die Möglichkeit, besser zu werden, ist das Motto, nach dem im „Olympischen und Paralympischen Trainingszentrum für Deutschland“ in Kienbaum das gesamte Handeln ausgerichtet ist.
Lisa Vogel leitet für das nationale Zentrum, das in dieser Form republikweit einzigartig ist, die Kommunikationsabteilung. Dass sie noch viele andere Aufgaben übernimmt, weil die 65 Mitarbeitenden das allesamt so machen, wird im Verlauf des Rundgangs über das 60 Hektar große Gelände schnell deutlich. Aber an diesem sonnig-frischen Herbsttag in der Brandenburger Abgeschiedenheit rund 40 Kilometer östlich des Stadtkerns von Berlin ist die 30-Jährige voll in ihrem Element: Sie führt den Besuch aus dem DOSB über die Anlage und hat zu jeder Einrichtung Informationen und kleine oder große Geschichten parat. Und weil so viele es wert sind, erzählt zu werden, bricht sich nach vier kurzweiligen Stunden die Erkenntnis Bahn, dass ein Kurzaufenthalt in Kienbaum eigentlich keinen Sinn ergibt.
Manche kommen für ein paar Wochen, andere für mehrere Monate
Wie gut also, dass der Betrieb auf Langfristigkeit ausgelegt ist. Fachverbände, die ihre Sportler*innen nach Kienbaum schicken - und das tun sehr viele in den olympischen Sommer- und Wintersportarten -, bauen auf mehrwöchige, manchmal sogar über mehrere Monate andauernde Wettkampfvorbereitung. „Nur hier gibt es perfekte Bedingungen, die es braucht, um sich vor internationalen Sportgroßevents den letzten Feinschliff zu holen“, sagt Martin Rieprecht. Der 39-Jährige ist seit gut einem Jahr Geschäftsführer des Trägervereins von Kienbaum, und er ist überzeugt davon, dass die Kaderschmiede höchsten Ansprüchen gerecht wird. „Wir haben die beste Infrastruktur, alle Trainingsstätten sind auf Weltklasseniveau, wir bieten eine tolle Küche und ansprechende Unterkünfte“, sagt er.
Wer sich davon überzeugen will, beginnt den Rundgang mit Lisa Vogel im Unterkunftsgebäude von Kienbaum II - das so heißt, weil es einen zehnminütigen Fußmarsch vom Verwaltungsgebäude mit der Rezeption entfernt liegt, den die Bewohner*innen auch mit 200 vom Ernährungspartner Edeka gesponserten Fahrrädern zurücklegen können. 200 Betten stehen dort in Einzel-, Doppel- und Dreibettzimmern zur Verfügung, und während die oberen drei Geschosse in den vergangenen drei Jahren modernisiert wurden und in hellen, warmen Farben Gemütlichkeit ausstrahlen, atmet das Parterre noch den Charme der Vorwendezeit, als Kienbaum das wichtigste Trainingszentrum der DDR war. „Hier wollen wir im kommenden Jahr renovieren“, sagt Lisa Vogel, verweist aber darauf, dass wegen der lange geltenden vorläufigen Haushaltsplanung des Bundes die notwendigen finanziellen Mittel noch nicht bewilligt sind.
Das Gelände östlich von Berlin wurde 1951 dem Sport gewidmet
Dass das Gelände, das vor dem Zweiten Weltkrieg zunächst Mühle und dann Munitionsfabrik war und 1951 dem Sport gewidmet wurde, nach der Wende in seiner Funktion gehalten und kontinuierlich ausgebaut wurde, darf angesichts der heutigen Bedeutung für den deutschen Hochleistungssport als goldrichtige Entscheidung gelten. Die Finanzierung erfolgt komplett aus Bundesmitteln, der DOSB ist entgegen der landläufigen Wahrnehmung nicht an der Finanzierung beteiligt, stellt aber in Leistungssport-Vorstand Olaf Tabor den Vorsitzenden des Trägervereins. Das Gelände ist in Bundesbesitz, allerdings hat sich der Trägerverein zur Übernahme aller Rechte, aber auch aller Pflichten bereiterklärt. Das bedeutet: Alle Aufgaben, die anfallen, werden von den 65 Mitarbeitenden übernommen - ausgenommen sind lediglich Modernisierungsarbeiten, die von Fachfirmen ausgeführt werden müssen, und die Reinigung der Bettwäsche, die an ein externes Unternehmen ausgelagert ist.
„Besonders arbeitsintensiv ist die Pflege der Grünanlagen, vor allem im Herbst, wenn Laub und Eicheln fallen“, sagt Lisa Vogel. Aber genau diese Grünanlagen sind es, die den besonderen Charme Kienbaums ausmachen. Der Wald um den Liebenberger See, der inmitten des Geländes dem Deutschen Kanu-Verband als wichtigste Trainingsstätte dient, verleiht dem Gesamtensemble die Atmosphäre eines Kurzentrums. Wären die Athlet*innen nicht zum Arbeiten hier, wäre das Bundesleistungszentrum der perfekte Ort für klassischen Erholungsurlaub. Ablenkung gibt es nicht, hier ist der Mensch eins mit der Natur. Was viele Jahre als unbestreitbarer Vorteil galt, bereitet Martin Rieprecht heute allerdings manches Mal Kopfzerbrechen. „Nicht alle kommen mit so viel Ruhe klar, manche wünschen sich mehr Action“, sagt er. Ausflüge nach Berlin sind zwar möglich, aber mühsam und zeitintensiv. Deshalb - und weil das WLAN bisweilen hakt - bieten sie vermehrt Gemeinschaftsabende an und wollen zeitnah die in die Jahre gekommene Kegelbahn in einen Freizeitsportbereich umrüsten.
„Ich möchte später sagen können: Was hatte ich für geile Jahre!“
Für Karina Schönmaier beginnt am Montagabend mit dem Flug nach Jakarta eine ganz besondere Reise. Zum einen war die Turn-Europameisterin am Sprung noch nie so weit von zu Hause entfernt und hatte deshalb „ein wenig Angst davor, 15 Stunden am Stück zu fliegen“. Zum anderen ist die 20-Jährige vom TuS Chemnitz-Altendorf im Aufgebot für die Weltmeisterschaften, die vom 19. bis 25. Oktober in Indonesiens Hauptstadt ausgetragen werden, nach den Rücktritten von Elisabeth Seitz und Sarah Voss sowie den verletzungsbedingten Ausfällen von Pauline Schäfer-Betz und Helen Kevric die älteste und erfahrenste Athletin. Silja Stöhr (17/SG Heddesheim) und Schönmaiers Vereinskameradin Jesenia Schäfer (15) erleben in der Elf-Millionen-Einwohner-Megacity ihre WM-Premiere. Wie sie mit ihrer Rolle umgeht und warum Turnen für sie ein „sicherer Ort“ ist, erläutert die gebürtige Bremerin, die bei den Olympischen Spielen in Paris als Ersatzturnerin zum Team Deutschland zählte, im Interview.
DOSB: Karina, wie fühlt es sich an, mit gerade einmal 20 Jahren die erfahrenste und älteste Athletin im deutschen Aufgebot zu sein?
Karina Schönmaier: Es ist schon etwas komisch, dass die vielen Erfahrenen nicht mehr da sind. Die Aufregung steigt von Tag zu Tag. In den Qualifikationen bin ich gut durchgekommen, das hat mir viel Sicherheit gegeben. Dennoch ist eine Anspannung da, die ich in der Form noch nicht kannte. Bei den Weltmeisterschaften 2022 in Liverpool und 2023 in Antwerpen war ich einfach nur froh, dass ich dabei war. Nun bin ich die erfahrenste Turnerin im Aufgebot.
Wie gehst du mit dieser veränderten Rolle um?
So viel hat sich gar nicht verändert. Ich fühle mich überhaupt nicht als Anführerin, die irgendwelche Ansagen macht. Wir sind alle komplett auf Augenhöhe, jede hat Mitspracherecht. Ich habe keine Sonderstellung, muss auch auf niemanden aufpassen. Wir sind ein sehr junges Team, kommen aber bestens miteinander aus. Das macht es mir leicht, mich wohlzufühlen.
Nach dem EM-Titel am Sprung und dem Sieg bei den deutschen Meisterschaften im Mehrkampf und am Boden wirst du als Hoffnungsträgerin des deutschen Teams bezeichnet. Ist das zusätzlicher Ansporn oder nur mehr Druck?
Von beidem etwas. Meine persönliche Ausgangslage hat sich natürlich verändert. Ich bin sehr froh, dass ich in diesem Jahr schon einige starke Wettkämpfe zeigen konnte, denn das gibt mir Sicherheit und gleichzeitig das Gefühl, noch mehr erreichen zu können und vor allem zu wollen. Andererseits ist der Druck schon höher, vor allem aber der, den ich mir selber mache. Früher habe ich einfach gemacht und gehofft, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Diese Herangehensweise funktioniert nicht mehr, da hat sich in meiner Gedankenwelt etwas verändert. Jetzt denke ich öfter: Ich muss perfekt sein, darf keine Fehler machen. Das ist schon manchmal stressig. Trotzdem gelingt es mir zum Glück meistens, diesen Stress gut auszubalancieren und mit der notwendigen Leichtigkeit an die Übungen zu gehen.
Wie gelingt es dir, diese Stressbalance im Griff zu behalten?
Das ist eine Mischung aus mehreren Faktoren. Zum einen hilft mir meine Erfahrung, ich war schon bei mehreren Welt- und Europameisterschaften dabei, und jeder große internationale Wettkampf bringt mich ein Stück weiter in meiner Entwicklung. Zum anderen ist für mich Kommunikation extrem wichtig. Beim Weltcup in Paris zum Beispiel habe ich kurz vorm Wettkampf Angst bekommen, dass ich nicht ordentlich performen würde. Diese Ängste habe ich mit dem Trainerteam besprochen, und das hat mir sehr geholfen. Im Training stresse ich mich manchmal auch zu sehr, dann muss ich von außen beruhigt werden. Das gelingt aber immer sehr gut. Deshalb bin ich meinen Trainern, allen voran Tati und Anatol (Tatjana Bachmayer und Anatol Ashurkov vom Chemnitzer Stützpunkt, d. Red.), sehr dankbar für ihre Unterstützung. Wir sind als Team sehr gut zusammengewachsen und haben über die Jahre tiefes Vertrauen aufgebaut. Ich kann die beiden auch nachts anrufen und mit ihnen über alles sprechen.
Gibt es außerhalb des Trainerteams weitere wichtige Bezugspersonen für dich?
In erster Linie meine Mutter, mit ihr telefoniere ich oft und erzähle ihr alles, was mich bewegt. Aber da sie nicht in Chemnitz vor Ort ist, spreche ich auch viel mit Freundinnen und Teamkolleginnen. Anna-Lena König und Lea Quaas sind wichtige Menschen in meinem Leben, wir kochen oft zusammen und sprechen über das Turnen. Aber auch zu Eli und Sarah habe ich regelmäßig Kontakt. Dass sie für mich da sind, ist mir wichtig.

